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Auch Warten kann schön sein - Ein Aufruf zur Vorfreude

Wann haben Sie sich zum letzten Mal richtig auf Weihnachten gefreut? Heute? Gestern? Vor 20 Jahren?


Adventszeit ist Vorbereitungszeit, aber auch Vorfreude. Ursprünglich diente der Advent dazu, dass wir uns selbst auf Weihnachten vorbereiten. Heute geht es eher darum, alles andere für und auf Weihnachten vorzubereiten: die Geschenke, die Kinder, das Haus, die Vorratskammer, den Kühlschrank und sogar das E-Mail-Postfach. Es gibt so viel zu tun, dass meistens eher Stress statt Vorfreude aufkommt.

Egal, mit wem ich über Weihnachten rede, das Gespräch verläuft immer ähnlich: Ach, ich hab noch gar nicht alle Geschenke. Ich muss noch einen Weihnachtsbaum besorgen. Ich muss die Weihnachtskarten noch schreiben. Ich muss noch Plätzchen backen. Ich hab so viel zu tun, ich bin noch gar nicht in Weihnachtsstimmung … Weihnachten scheint eine einzige To-do-Liste zu sein, die es abzuarbeiten gilt. Kein Erwachsener, den ich gefragt habe, hat gesagt: Ach, ich freu mich auf Weihnachten! Ich kann es gar nicht erwarten!

Wo bleibt die Vorfreude?

Eigentlich steckt der ganze Advent voller Traditionen, die Vorfreude schüren. An jedem Sonntag dürfen wir eine neue Kerze am Adventskranz anzünden als Zeichen dafür, dass es wieder eine Woche weniger ist, bis das Christkind kommt. Der Besuch vom Nikolaus am 6. Dezember markiert den ersten Meilenstein auf dem Weg zum Weihnachtsfest. Und natürlich sorgt der Adventskalender mit seinen 24 Türchen für die tägliche Dosis Vorfreude.

Es ist also alles da für einen Advent voller Vorfreude, aber irgendwann auf dem Weg ins Erwachsenenalter scheint sie verloren zu gehen. Statt erwartungsvoll Kerzen anzuzünden und Türchen aufzumachen, haken wir Punkte auf unserer To-do-Liste ab, die einfach nicht kürzer werden will. Dummerweise wird sich das mit der To-do-Liste nicht mehr ändern, denn ein Fest vorzubereiten, ist nun mal auch immer irgendwie Arbeit. Die Vorfreude können wir uns aber  trotzdem wieder zurückholen.

Vorfreude macht das Leben schöner

Wie wichtig Vorfreude ist, fällt erst richtig auf, wenn sie fehlt. Wenn wir nichts haben, auf das wir uns freuen können, ist alles irgendwie doof. Man schleppt sich durch den Tag und wartet, dass er vorübergeht. Gibt es dagegen etwas, auf das wir uns freuen, dann macht das auch alles andere besser: nervige Aufgaben gehen leichter von der Hand und unangenehme oder langweilige Angelegenheiten lassen sich besser durchstehen. Die Vorfreude dient als Ablenkung, beschert schöne Tagträume oder verleiht einen kleinen Motivationsschub. Sie verleiht dem Alltag einen Glanz, der alles ein bisschen besser und schöner macht.

Die positive Wirkung von Vorfreude und dass sie mit die schönste Freude ist, belegen auch viele psychologische Studien. Falls Sie also noch ein paar wissenschaftlich fundierte Überzeugungshilfen für mehr Vorfreude brauchen, finden Sie sie hier:

  • Die Aussicht auf zukünftige, schöne Ereignisse erfüllt uns mit mehr Freude und stärkeren positiven Emotionen als der Rückblick auf vergangene, schöne Erinnerungen. ¹ Also besser nicht nur in Erinnerungen schwelgen, sondern auch ein paar schöne Erfahrungen für die Zukunft planen.

  • Vorfreude wirkt wie eine Art Puffer gegen Stress und hilft, besser mit Stress umzugehen. Eine Studie von Samuel Monfort und Kollegen zeigte, dass Personen, die sich auf etwas so banales wie lustige Comics freuten, Stress besser verarbeiteten und nach einem stressigen Ereignis bessere Laune hatten und weniger negative Emotionen erlebten als Personen, die keinen Grund zur Vorfreude hatten. ² Und das war nur die Freude auf einen Comic! Wie wirkt dann erst die Vorfreude auf einen schönen Abend oder einen Urlaub?

  • Für mehr Vorfreude sollten wir Erlebnisse planen statt Anschaffungen: Warten wir auf Erlebnisse, zum Beispiel einen Kinoabend oder ein Konzert, freuen wir uns mehr und sind aufgeregter, als wenn wir darauf warten, endlich unser neues Smartphone oder das neue Auto zu bekommen. Warten wir auf etwas Materielles, empfinden wir weniger Vorfreude und Aufregung, sondern eher Ungeduld. Das zeigt sich auch im Warte-Verhalten: Leute, die in der Schlange stehen, um etwas Materielles zu kaufen, benehmen sich schlechter, als Leute, die anstehen, um Tickets für eine Veranstaltung zu kaufen, oder bei einem Konzert oder einer Sportveranstaltung auf Einlass warten. ³ Das erklärt wahrscheinlich auch, warum es an Black Friday und an Wühltischen regelmäßig Schlägereien gibt.

Aber wenn ich die ganze Zeit in erwartungsvoller Freude von Weihnachten träume, riskiere ich dann nicht, enttäuscht zu werden?

Was ist, wenn es statt Weihnachtsfrieden Streit gibt unterm Tannenbaum, wenn sich Paulchen nicht über sein Geschenk freut und es Tränen und Geschrei statt Freudentänzen gibt oder wenn plötzlich alle krank sind und sich gegenseitig anstecken (mein persönlicher Albtraum)? Macht die ganze aufgebaute Vorfreude dann nicht alles noch schlimmer?

Ist die Enttäuschung wirklich größer, wenn Sie es sich erlauben, sich auf etwas zu freuen? Nicht wirklich! Keine Vorfreude aufkommen zu lassen, schützt nicht vor Enttäuschung. Wenn Sie sich dagegen der Vorfreude hingegeben haben, dann konnten Sie immerhin die Adventszeit genießen. Auch wenn Sie keine Kontrolle darüber haben, wie Weihnachten letztendlich werden wird, so haben Sie immerhin die Kontrolle über Ihre Vorfreude!


Auf was freuen Sie sich diese Weihnachten?

Sie wissen es nicht? Dann nehmen Sie sich einen Moment Zeit, um es herauszufinden.

Ich musste selbst erst nachdenken, um etwas zu finden, auf das ich mich richtig freuen kann. Um ehrlich zu sein, hatte ich es bisher vermieden, zu sehr über die Weihnachtsfeiertage nachzudenken, weil es die Dinge, auf die ich mich immer am meisten gefreut habe, dieses Jahr nicht geben wird. Es ist unser erstes Weihnachten, das wir nur zu dritt, ganz ohne weitere Familie, hier in Kalifornien verbringen. Dann habe ich aber beschlossen, mich darauf zu freuen, wenn es einige meiner Weihnachtshighlights wieder in meinem Leben geben wird. Für dieses Jahr freue ich mich aber darauf, den Weihnachtsabend mit Freunden zu verbringen, bekocht zu werden und zu erleben, wie unser erstes amerikanisch-deutsches Weihnachtsfest wird.  

Auch wenn Weihnachten eine sehr emotionale und nicht immer einfache Zeit ist, bin ich mir sicher, Ihnen fällt etwas ein, auf das Sie sich freuen können - selbst wenn es noch so klein und unbedeutend erscheint. Erinnern Sie sich an die Studie, in der sich die Teilnehmer einfach nur auf Comics freuten? Es muss nichts Großes sein, auf das man sich freut. Der kleinste Anlass zur Vorfreude reicht, um die Stimmung zu heben und negative Gefühle zu lindern.

Haben Sie etwas gefunden, auf das Sie sich freuen?

Dann los, wagen Sie ein bisschen Vorfreude! Es lohnt sich! Es ist zwar nur noch eine Woche bis Weihnachten, aber in einer Woche kann man sich noch ordentlich vorfreuen!

Eine schöne dritte Adventswoche!


Verweise

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Foto von Michael Nunes auf Unsplash