Selbstoptimierung - Versuch einer Definition
Eine Definition? Wozu?
Eine Definition ist die Basis für jede Forschungsarbeit, weil sie festlegt, was man überhaupt untersucht und dies auch allen anderen, die sich darüber informieren, vermittelt. Das klingt trivial und selbstverständlich, aber wer schonmal das Spiel Therapy gespielt hat und dabei seine Mitspieler in Bezug auf ein bestimmtes Adjektiv, zum Beispiel “zielstrebig” einschätzen sollte, hat wahrscheinlich in der anschließenden Diskussion bemerkt, dass die eigene Definition von zielstrebig nicht unbedingt mit der der anderen Mitspieler übereinstimmt und jeder ein bisschen etwas anderes unter diesem Wort versteht.
Wo bekommt man eine Definition her?
Meistens findet man Definitionen in Lehrbüchern, Überblicksartikeln, Originalarbeiten (Artikel in Fachzeitschriften, in denen Studien beschrieben werden) oder auf Wikipedia. Man schaut sich an, was die Literatur zu bieten hat, sucht sich die Definition aus, die am besten für die eigenen Ziele passt, und passt sie gegebenenfalls ein bisschen an. So wollte ich das auch bei der Definition von Selbstoptimierung machen. Ich konnte aber keine Definition finden! Es gab noch nicht mal eine auf Wikipedia! Es ist schon fast ein Mysterium, dass es zu einem Phänomen, über das so viel berichtet und diskutiert wird, keinen Wikipedia-Eintrag gibt. Also muss ich mir wohl selbst eine Definition basteln.
Aber wie und wo fange ich an? Ich würde sagen mit den Medien, weil hier die Diskussion um Selbstoptimierung hauptsächlich stattfindet. Also wäre es ein guter Anfangspunkt, danach zu schauen, was genau über Selbstoptimierung berichtet wird.
In älteren Artikeln wird Selbstoptimierung meistens mit Tracking gleichgesetzt, also dem Trend, seine körperlichen Aktivitäten und Parameter, meistens sind das Schritte, Puls und Schlafphasen, zu erheben und zu analysieren. Daneben geht es auch häufig um Maßnahmen zur Steigerung von Effizienz und Produktivität. Diese anfänglichen Formen der Selbstoptimierung haben gemeinsam, dass es sich um einen durch Messungen und Dokumentation überwachten Prozess handelt, der der Annäherung an ein Optimum dient. Unterstützt und populär gemacht wurde dieser Überwachungsprozess durch technische Hilfsmittel wie Apps, Fitness Tracker und Smartwatches.
Verbesserung durch Rückkopplung - Selbstoptimierung als Prozess
Dass es gar keine Definition zu Selbstoptimierung gibt, stimmt so nicht ganz. Es gibt nur keine Definition für die Form von Selbstoptimierung, auf die ich mich beziehe. Es gibt Definitionen zu Selbstoptimierung bei (Computer)systemen, in der Mechatronik und Neurowissenschaft. In der Neurowissenschaft wird Selbstoptimierung als die Fähigkeit des Nervensystems durch Rückkopplungsmechnismen eine bestmögliche Funktion zu erzielen definiert. Diese Definition beschreibt den gleichen Vorgang wie beim Tracking: Verbesserung durch Rückkopplung (Feedback). Wahrscheinlich war es jemand, der mit dieser Definition vertraut war, der den Begriff Selbstoptimierung in die Diskussion um Tracking und Effizienzsteigerung brachte. Man hätte ja sonst einfach von Selbstverbesserung sprechen können. Vielleicht war es aber auch nicht so. Zu diesem Zeitpunkt habe ich keine Ahnung, wo der Begriff Selbstoptimierung herkommt, vielleicht wurde er aus der Neurowissenschaft oder aus anderen Wissenschaften übernommen, vielleicht klang er auch einfach nur schicker als Selbstverbesserung und hat sich deshalb durchgesetzt.
Diese Definition von Selbstoptimierung beschreibt allerdings nur den Optimierungsvorgang an sich und nicht, was Selbstoptimierung alles miteinschließt. Vielleicht wird es etwas einfacher, wenn ich für die Definition zwischen dem Prozess und den inhaltlichen Komponenten von Selbstoptimierung unterscheide.
Die Inhalte zum Prozess - Selbstoptimierung 2.0
Der Prozess ist klar, aber was umfasst Selbstoptimierung alles? Also nochmal zurück zu den Medien und dazu, wie sich die Diskussion vom Tracking aus weiterentwickelt hat. In den letzten Jahren hat der Begriff Selbstoptimierung eine ordentliche Entwicklung hingelegt und das Konzept ist so breit geworden, dass es in sämtlichen Lebensbereichen zu finden ist. Laut der Trendforscherin Corinna Mühlhausen sind wir mittlerweile bei Selbstoptimierung 2.0¹ angekommen. Es geht nicht mehr nur um Fitness, Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Effizienz sondern um Entspannung, Selbstbestimmung und Glück. Das ist schon eine erstaunliche Entwicklung des Begriffs: Entspannung als Form von Selbstoptimierung steht in starkem Kontrast zum Anfangskonzept von Selbstoptimierung, wo Leistungs- und Effizienzsteigerung im Vordergrund standen und Entspannungsphasen eher reduziert werden sollten.
Schönheits-OPs, Kaffee und Drogen
Manche Medienberichte gehen so weit, dass sie Schönheitsoperationen, Neuro-Enhancements und Gehirndoping, also die Einnahme von Substanzen wie Kaffee, Ritalin und Beta-Blockern zur Leistungssteigerung, als Form von Selbstoptimierung sehen. Auf diese Formen der Selbstoptimierung werde ich nicht weiter eingehen. Ich fokussiere mich auf Mainstream-Selbstoptimierung, die Art von Selbstoptimierung, die im alltäglichen Leben und Handeln von ganz normalen Menschen eingesetzt wird. Nicht nur, weil ich nicht bereit bin für meine Selbstversuche psychoaktive Substanzen zu schlucken (außer Kaffee) und mich einer Schönheitsoperation zu unterziehen, sondern weil diese alltägliche Form der Selbstoptimierung meiner Meinung nach den größten Einfluss hat. Außerdem spielt der prozedurale Aspekt von Selbstoptimierung bei Schönheitsoperationen und Co. keine Rolle, man überwacht sich nicht, um seinem Ziel näher zu kommen, sondern unterzieht sich einer Operation oder schluckt Tabletten um die gewünschte Veränderung herbeizuführen.
Dem Volk auf’s Maul geschaut
Die Betrachtung von Selbstoptimierung nur aus Sicht der Medien wäre unvollständig. Um das Bild zu vervollständigen und mehr über die Inhalte von Selbstoptimierung zu lernen, lohnt es sich, darauf zu schauen, was die Bevölkerung unter Selbstoptimierung versteht. Im Jahr 2013 hat der Verein der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) dazu eine Umfrage gemacht.² Auf die Frage: “mit welchen (Lebens-)Bereichen verbinden Sie "Selbstoptimierung"?” antworteten 77 Prozent der Befragten “Berufsleben”, 48% “Gesundheit/Wohlbefinden”, und 47% “Sport/Fitness”. “Ernährung” wurde von 35% genannt. Das deckt sich inhaltlich mit der Darstellung von Selbstoptimierung in den Medien. Überraschend ist allerdings, dass die Mehrheit der Befragten Berufsleben nennt und dann erst Gesundheit und Sport folgen, während bei den Medien weitaus häufiger über Selbstoptimierung im Bereich Sport und Gesundheit berichtet wird als im Berufsleben. Das könnte aber daran liegen, dass sich für Sport und Gesundheit mehr Leser finden, weil das attraktivere Themen sind und sich allgemeiner darüber berichten lässt als über Selbstoptimierung im Berufsleben, die für jeden anders aussieht.
Meine Arbeitsdefinition von Selbstoptimierung
Um das alles auf einen Punkt zu bringen, hier meine Arbeitsdefinition von Selbstoptimierung, die eine Prozess- und eine Inhaltskomponente umfasst:
Unter Selbstoptimierung verstehe ich den Prozess, sich einem Zielzustand anzunähern, indem das zu verbessernde Verhalten in regelmäßigen Abständen erfasst wird, um den Fortschritt oder Rückschritt zu messen, und dann entsprechend angepasst wird. Unterstützt wird dieser Prozess häufig durch technische Hilfsmittel in Form von Apps, Fitnesstrackern und Smartwatches. Selbstoptimierung kann dabei in den verschiedensten Lebensbereichen vorkommen. Zurzeit sind das vorwiegend Gesundheit, Fitness, Produktivität und Effizienz, Ernährung und Entspannung.
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Verweise