Hello, how are you? - Über Antwortschwierigkeiten und den Sinn und Unsinn von Begrüßungsfloskeln
Ich habe das Problem, dass ich Worte ziemlich ernst nehme. Fragt man mich etwas, denke ich erstmal nach, bevor ich antworte. Am schwierigsten sind für mich meist die vermeintlich einfachsten Fragen, wie “Wie geht es dir?” Da diese Frage Teil des amerikanischen Begrüßungsrituals ist, hat es eine Weile gedauert, bis ich damit zurecht gekommen bin. Schon wenn ich an der Kasse im Supermarkt anstand, wurde ich nervös, weil ich wusste, gleich kommt es wieder, das gefürchtete "How are you?"
"Hello! How are you?" ist hier die Standard-Begrüßungsfloskel. Ich bin so erzogen, dass ich versuche, darauf wahrheitsgemäß zu antworten. Oft denke ich kurz nach und antworte dann. Eine gute Antwort auf diese Frage zu finden, ist nämlich nicht leicht. Was soll ich denn einer Person antworten, die ich zum ersten Mal gesehen habe, ohne gleich zu intim zu werden oder meine ganze Lebensgeschichte zu erzählen, wie es meine Oma immer tut. Ich hatte schon in Deutschland Probleme mit dem “wie geht’s?”, weil es mir immer vorkam wie unnötig verbrauchte Luft und Zeit und einen sehr geringen Informationsgehalt hat. Man antwortet ja eigentlich nie ehrlich. An einer akkuraten, ausführlichen Antwort hat niemand Interesse, außer vielleicht der Hausarzt. “Mir geht’s schlecht” oder “nicht so gut” zu antworten ist fast schon ein Tabu, es sei denn, man möchte provozieren oder die absolute Aufmerksamkeit seines Gegenübers oder neigt zum dramatisieren, dann hört einem aber sowieso niemand zu.
Seit meine Professorin mich während eines Studienaufenthaltes in den USA ausgelacht hat, weil ich ihr tatsächlich halbwegs wahrheitsgemäß auf ihr "How are you?" geantwortet habe, habe ich an meinem Antwortverhalten gearbeitet. Entweder ich lächle freundlich und sage nichts, das kann ich aber am schwersten ertragen, weil ich mir unhöflich vorkomme. Man soll ja schließlich antworten, wenn man was gefragt wird. Manchmal sage ich einfach ganz amerikanisch "I'm fine, thanks!" das ist aber fast genauso schlimm, wie gar nichts zu sagen, weil es ja die Höflichkeit verlangt, dass man im Gegenzug die andere Person fragt, wie es ihr geht. Ich antworte deshalb meistens "I'm fine! Thank you! How are you?" Obwohl das auch wie eine inhaltsarme auswendig gelernte Floskel wirkt, hat diese Antwort immerhin den Vorteil, dass ich zumindest ein minimales Interesse an der Existenz meines Gegenübers zeige und signalisiere, dass ich bereit bin, die zwei Sekunden zu opfern, die mich die Antwort kosten wird. Viel mehr kann ich mit meiner Antwort auf die Frage nach meinem Befinden eigentlich nicht erreichen, von daher ist das jetzt meine bevorzugte Antwortoption. Nach zwei Jahren Silicon Valley fühlt sie sich auch nicht mehr auswendig gelernt und aufgesetzt an. Ich antworte jetzt ganz selbstverständlich, fließend und ohne mit der Wimper zu zucken: “I'm good. How are you?” und fühle mich gut dabei und auch danach. Manchmal improvisiere ich ein bisschen und sage "I'm fine" statt "I'm good" und wenn es mir richtig gut geht, dann wage ich sogar ein “I'm great.”
Mittlerweile habe ich meinen Frieden mit der Frage nach dem Befinden geschlossen. Ich habe zwar immer noch Zweifel an ihrem Informationsgehalt, akzeptiere sie aber als Brücke, die über den seltsamen, etwas unangenehmen Moment am Anfang eines Gesprächs mit einer unbekannten Person hinweghilft, indem sie ein Skript vorgibt, an das wir uns klammern können. Ein Hoch auf die amerikanische Oberflächlichkeit! Sie wird zwar oft kritisiert, kann aber auch ganz hilfreich sein: sie wirkt wie eine Art Gleitgel, indem sie diese alltäglichen Dienstleistungsinteraktionen erleichtert und gerade Behördengänge, die unangenehmste Form davon, erträglicher macht. Ein freundliches "How are you?" , egal wie authentisch oder unauthentisch es ist, ist mir wesentlich lieber als die vorwurfsvollen Blicke und der schroffe Befehlston, die ich von deutschen Behörden kenne. Echte Beziehungen leiden übrigens nicht darunter, sobald man es unter die Oberfläche geschafft hat, kann man auch bei Amerikanern durchaus mit authentischem Verhalten rechnen. Ich finde wir Deutschen könnten diese Freundlichkeitskultur gerne übernehmen.
Have a good one!