Ist und macht Selbstoptimierung wirklich egoistisch?

Selbstoptimierung ist und macht egoistisch. Diese Annahme schwingt häufig in der Diskussion um Selbstoptimierung mit und ist einer der Hauptkritikpunkte. Der Schluss liegt nahe: Menschen, die so viel Zeit und Mühe investieren, um produktiver, fitter, gesünder, entspannter oder sonst irgendwie besser zu werden, müssen sich selbst schon sehr wichtig nehmen. Wer sich so viel mit sich selbst beschäftigt, hat wahrscheinlich keine Zeit für seine Mitmenschen und die Umwelt und wohl auch kein Interesse an ihnen, weil die ganze Aufmerksamkeit auf die eigene Person gerichtet ist. Also gehören Selbstoptimierung und Egoismus zusammen, so die Logik. Aber stimmt das wirklich?

Die Motive hinter Selbstoptimierung

Um diese Frage zu klären, sollte man erstmal überlegen, was hinter den Selbstoptimierungs-Bemühungen steckt. Wenn man so viel auf sich nimmt, hat das meistens einen bestimmten Grund und lässt sich nicht durch reine Oberflächlichkeiten erklären, sonst gäbe es nicht so viele abgebrochene Diäten. Wie heißt es so schön, wenn man etwas richtig durchziehen will, muss man sein warum kennen, also das tatsächliche Motiv, das dahinter steckt. Bei einem Selbstoptimierungs-Vorhaben zur Steigerung der eigenen Produktivität und Effizienz geht es beispielsweise darum, schneller und effizienter zu arbeiten, damit man mehr Zeit für andere Dinge hat. Diese anderen Dinge müssen aber nichts mit der Karriere zu tun haben, sondern können auch Partner, Familie und Freunde sein. Man diszipliniert sich tagsüber, damit man abends früher heimgehen und Zeit mit den Menschen und Dingen verbringen kann, die einem am Herzen liegen.

Beim Training für einen Marathon, geht es meistens darum, den inneren Schweinehund und die eigenen Grenzen zu überwinden, sich auszupowern, einen Ausgleich zu schaffen und Stress abzubauen. Es geht darum, das Wohlbefinden nachhaltig zu steigern und gesund zu sein und zu bleiben. Und das nicht nur für sich, das Ziel ist auch, belastbarer für den Partner und die Familie zu sein. Man kümmert sich um sich selbst, damit man sich besser und länger um andere kümmern und für sie da sein kann. Ein bisschen so wie bei der Sicherheitseinweisung im Flugzeug, bei der man angewiesen wird, zuerst sich selbst die Sauerstoffmaske aufzusetzen und dann erst anderen.

Selbstoptimierung bedeutet also nicht gleich Egoismus. Sie ist zwar auf das Selbst ausgerichtet und insofern eine egozentrische Tätigkeit, aber das hat nicht zu bedeuten, dass sie aus egoistischen Motiven passiert. Menschen, die Selbstoptimierung betreiben, denken wahrscheinlich viel über sich selbst und ihr Leben nach. Aber wer tut das nicht?

Ist es wirklich egoistisch, an sich und seinem Glück zu arbeiten, oder ist es vielleicht sogar eine Voraussetzung für Altruismus?

Schon Epikur war der Ansicht, dass wir uns um das kümmern sollten, was uns glücklich macht. Sind wir glücklich, fehlt es uns an nichts, sind wir aber unglücklich, richten wir unser ganzes Handeln darauf aus, glücklich zu werden.¹ Erst wenn wir glücklich sind, sind wir also frei, uns anderen Dingen zu widmen. Diese Einsicht scheint mittlerweile auch im Verständnis von Selbstoptimierung angekommen zu sein, wie die Ergebnisse der Studie Healthstyle III von Corinna Mühlhausen zeigen. Corinna Mühlhausen hat in den Ergebnissen der Studie eine Wandlung von einem auf Effizienzsteigerung und Beschleunigung ausgerichteten zu einem ganzheitlichen eher nachhaltigen Verständnis von Selbstoptimierung beobachtet. Bei diesem neuen Verständnis von Selbstoptimierung stehen Lebensqualität, Entschleunigung, Achtsamkeit und Selbstfürsorge im Vordergrund. Es geht darum, “Den Ich-Bezug zu etwas Gutem auszubauen, sich um sich selbst zu kümmern, damit es einem selbst wirklich gut geht. Und wir damit auch wieder Energie für die Belange anderer haben” heißt es in der Präsentation zur Healthstyle-Studie.²

Auch Bestseller-Autorin Gretchen Rubin hatte während ihres 12-monatigen Glücks-Projekts, das sie in ihrem Buch “The Happiness Project” beschreibt, die Erkenntnis, dass selbst glücklich zu sein, einer der besten Wege ist, andere Menschen glücklich zu machen.³ Und wenn wir die Bibel und ihre zehn Gebote zur Abwechslung mal ernst nehmen, und dem Gebot “Liebe deinen nächsten wie dich selbst” Folge leisten wollen, bedeutet das auch, dass wir zuerst gut mit uns selbst umgehen müssen, wenn wir gut zu anderen sein wollen.

Das Streben nach persönlichem Glück und Wohlbefinden scheint also eher eine Voraussetzung und ein Nährboden für Altruismus und soziales Engagement zu sein als ein Hindernis. Dafür finden sich auch zahlreiche Belege in der psychologischen Forschung. Mehrere Studien zeigen, dass glückliche Menschen hilfsbereiter und empathischer sind und sich mehr für soziale Probleme interessieren und engagieren. Die Psychologin Alice Isen hat die Teilnehmer in ihren Studien auf verschiedenste Weise glücklich gemacht, zum Beispiel indem sie sie beim Computerspielen gewinnen ließ, Münzen in Telefonzellen auslegte oder ihnen inspirierende Bilder zeigte. Das Ergebnis war immer das gleiche: die Personen in der Glücks-Gruppe waren freundlicher und hilfsbereiter als die Personen in der Kontrollgruppe ohne Glücks-Intervention. In einer Studie verteilte sie in der Uni-Bibliothek nach dem Zufallsprinzip Kekse an die Hälfte der Studierenden. Die Studenten, die einen Keks bekommen hatten, waren anschließend eher bereit, als Helfer bei einer Kreativitäts-Studie einzuspringen als die, die keinen Keks bekommen hatten. 4

Natürlich lässt sich Selbstoptimierung nicht direkt mit geschenkten Keksen und gewonnenen Computerspielen vergleichen, aber wenn man davon ausgeht, dass sie glücklich machen kann und mit positiven Emotionen einhergeht, ist es gerechtfertigt, ähnlich positive Effekte durch Selbstoptimierung auf das prosoziale Verhalten zu erwarten.  Um es mal ganz vorsichtig auszudrücken: Es scheint mindestens genauso wahrscheinlich, dass Selbstoptimierung mit Altruismus einhergeht, wie mit Egoismus. Die Beweislage aufgrund von Umfragen und psychologischen Studien spricht aber eher dafür, dass die Arbeit am Ich altruistisches Verhalten fördert statt verhindert.

Selbstoptimierung 3.0

Zum Abschluss bin ich nochmal ganz mutig und stelle in diesen Zeiten des Pessimismus, Kritisierens und der Schwarzmalerei eine sehr gewagte Prognose auf: Was wäre, wenn sich das Konzept von Selbstoptimierung weiter wandelt und auf Selbstoptimierung 2.0, Selbstoptimierung 3.0 folgt, in der Menschen sich darauf konzentrieren, ihre Beziehungen zu anderen Menschen und zur Umwelt zu verbessern, nachdem sie in Selbstoptimierung 1.0 ihre Effizienz und Schnelligkeit und in Selbstoptimierung 2.0 ihre Beziehung zu sich selbst verbessert haben?

 

Verweise

Foto von Joshua Earle auf Unsplash