Was ich im Lerchenexperiment messe - von den Hypothesen zum Fragebogen

Im letzten Beitrag habe ich von den Forschungsfragen und den Hypothesen für das Lerchenexperiment erzählt und wie ich sie entwickelt habe. Zur Erinnerung hier nochmal die Forschungsfragen, die gleichzeitig die Hypothesen bilden.

  1. Macht Selbstoptimierung glücklich?

  2. Stresst Selbstoptimierung?

  3. Gibt mir Selbstoptimierung mehr Kontrolle über mein Leben?

  4. Steigert mein Selbstoptimierungs-Projekt meine Zufriedenheit mit mir selbst?

  5. Macht mich Selbstoptimierung egoistischer?

  6. Macht mich Selbstoptimierung altruistischer?

Die Überführung der Hypothesen in messbare Indikatoren

Der nächste Schritt ist die Operationalisierung der Hypothesen, das heißt sie beobachtbar und messbar zu machen. Dazu muss ich einen Weg finden, die Konstrukte, die in meinen Hypothesen stecken, also Selbstoptimierung, Glück, Stress, Kontrollempfinden, Zufriedenheit mit mir selbst, Egoismus und Altruismus in meinem Alltag erfassbar zu machen.

Die besondere Rolle von Selbstoptimierung

Selbstoptimierung hat dabei eine besondere Rolle, weil ich sie nicht erfassen werde, sondern über eine Selbstoptimierungs-Intervention, also das frühe Aufstehen, in meinen Alltag einführen werde. In der Wissenschaft nennt man diesen Faktor, der im Experiment eingeführt wird, die unabhängige Variable. Selbstoptimierung als unabhängige Variable werde ich im Lerchenexperiment realisieren, indem ich für 4 Wochen jeden Morgen um 6:30 Uhr aufstehe.

Wie ich Stress, Glück und Co. messe

Die anderen Konstrukte, bei denen man die Auswirkungen der Einführung der unabhängigen Variable überprüft, nennt man abhängige Variablen. Im Lerchenexperiment sind Glück, Stress, Kontrollempfinden, Zufriedenheit mit mir selbst, Egoismus und Altruismus die abhängigen Variablen. Sie sind meine abhängigen Variablen, weil ich davon ausgehe, dass ihre Ausprägung durch die Einführung der Selbstoptimierungs- Intervention beeinflusst wird. Ihre Ausprägung ist also von der Selbstoptimierungs-Intervention abhängig.

Für die abhängigen Variablen muss ich jetzt messbare Indikatoren finden. Meistens sind diese Indikatoren in der Psychologie die Antworten und Zustimmung zu Fragen und Aussagen, seltener wird auch Verhalten direkt beobachtet oder es werden physiologische Indikatoren wie Puls, Hautleitfähigkeit (Schwitzen) oder Hirnströme erfasst. Im Lerchenexperiment verwende ich Fragen und Skalen. Um die richtigen Fragen zur Erfassung meiner abhängigen Variablen zu finden, habe ich zuerst meinen Block genommen und aufgeschrieben, was ich unter diesen Konstrukten, also Stress, Glück, Kontrolle, etc.  verstehe und was ich im Kontext meines Experimentes darunter verstehe. Anschließend habe ich Maße und Skalen recherchiert, die es dazu bereits gibt. Wenn ich eine Skala oder Fragen nehmen könnte, die sich bereits bewährt hatten und von vielen Leuten in vielen Studien ausgefüllt wurden, wäre das am besten, weil ich dann sichergehen könnte, dass die Maße den wissenschaftlichen Gütekriterien entsprechen. Für jedes meiner Konstrukte habe ich gleich mehrere Skalen gefunden. Das Problem war aber, dass diese Skalen für die Anforderungen meines Experimentes nicht geeignet waren. Sie erfassten die Konstrukte nur im Allgemeinen oder über einen längeren Zeitraum mit Fragen wie: wie gestresst fühlen Sie sich an einem normalen Tag? Wie glücklich waren Sie im letzten Monat? Das war für das Lerchenexperiment problematisch, weil es darum geht, die Konstrukte täglich zu erfassen. Meine Indikatoren mussten in der Lage sein, Veränderungen abzubilden, die sich von einem Tag auf den anderen ergeben. Ich musste also meine eigenen Fragen formulieren. Immerhin gab mir das Durchsehen der bestehenden Skalen einen Überblick darüber, was allgemein unter dem jeweiligen Konstrukt verstanden wurde und inwiefern sich das mit den Notizen aus meinem Brainstorming deckte. Außerdem konnte ich ein paar Formulierungen übernehmen.

Altruismus und Egoismus als Problemfälle

Mit der Operationalisierung von Altruismus und Egoismus habe ich mir sehr schwer getan. Ich hatte Probleme, Beispiele für Altruismus und Egoismus in meinem Alltag zu finden. Für mein altes Leben in Deutschland ist mir das viel leichter gefallen, weil ich dort mit mehr Menschen zu tun hatte, mehr sozialen Gruppen und Netzwerken angehörte und auch die Arten von Beziehungen, in denen ich stand, vielfältiger waren als hier. Um ein besseres Verständnis von Egoismus und Altruismus in meinem jetzigen Alltag zu bekommen, habe ich zwei offene Fragen mit aufgenommen, in denen ich für jeden Tag Situationen notiere, in denen ich egoistisch oder altruistisch gehandelt habe. Diese Sammlung von Alltagssituationen sollte mir beim nächsten Experiment helfen, eine Skala zu erstellen.

Übersicht über die Skalen und Fragen zu den abhängigen Variablen

Glück

  1. Ich bin glücklich.

Zufriedenheit

  1. Ich bin zufrieden mit dem, was ich heute geleistet habe.

  2. Ich bin unzufrieden mit mir.

  3. Ich bin frustriert.

  4. Ich bin stolz auf das, was ich heute geleistet habe.

  5. Ich bin stolz auf mich.

Stress

  1. Der Tag war stressig.

  2. Ich fühle mich gestresst.

  3. Ich hatte das Gefühl, dass ich so viel mache, aber es bleibt so viel liegen.

  4. Meine Gedanken drehen sich um das, was ich alles noch erledigen muss.

  5. Ich habe alle meine Aufgaben im Griff.

  6. Ich bin entspannt.

Kontrollempfinden

  1. Ich habe die Kontrolle über meinen Tag.

  2. Ich habe die Kontrolle über meine Zeit.

  3. Ich habe die Kontrolle über mich.

  4. Meine Verpflichtungen kontrollieren mich.

  5. Mein Alltag ist ein unbezwingbares Chaos.

Altruismus

  1. Ich war heute altruistisch.

  2. Ich war heute so altruistisch, wie ich sein konnte.

  3. Ich habe heute Gelegenheiten versäumt, altruistisch zu sein.

  4. Ich war heute egoistisch.

  5. Wie habe ich heute altruistisch gehandelt?

  6. Wie habe ich heute egoistisch gehandelt?

Außer bei den beiden letzten Fragen, die offen sind, reichen die Antwortoptionen von 1 - trifft überhaupt nicht zu bis 5 - trifft voll und ganz zu.

Kontrollvariablen - Stehe ich wirklich früh auf?

Mit einer unabhängigen und mehreren abhängigen Variablen ist das Experiment fast fertig. Um zu dokumentieren, wie das mit dem frühen Aufstehen klappt, also ob ich die Selbstoptimierungs-Intervention auch richtig durchführe, habe ich ein paar Kontrollvariablen in meinen Fragebogen eingefügt. Als wichtigste die Aufstehzeit, um nachzuweisen, ob ich tatsächlich um 6:30 Uhr aufgestanden bin. Außerdem habe ich noch die Zubettgehzeit, die subjektiv wahrgenommene Schlafqualität, die Schwierigkeit aus dem Bett zu kommen, das Energielevel, meine Stimmung und die Müdigkeit über den Tag mit aufgenommen, weil sie sich als Nebenwirkungen des frühen Aufstehens auch auf die abhängigen Variablen auswirken könnten: Müdigkeit kann zum Beispiel das Stresslevel erhöhen und ein niedriges Energielevel die Zufriedenheit senken.

Übersicht über die Kontrollvariablen

1. Aufstehzeit 

2. Schwierigkeit aus dem Bett zu kommen: Wie war es aus dem Bett zu kommen? 

Antwortoptionen: von "5 - ich war noch im Tiefschlaf als der Wecker klingelte" bis "1 - ich bin voller Freude aus dem Bett gesprungen, noch bevor der Wecker klingelte"

3. Subjektiv wahrgenommene Schlafqualität

Antwortoptionen: von "1 - ich habe überhaupt nicht geschlafen und fühle mich wie gerädert" bis "5 - sehr gut, ich fühle mich ausgeruht und erholt, wohliges Gefühl"

4. Tageslaune

Antwortoptionen: von "1 - sehr schlecht" bis "5 - sehr gut"

5. Müdigkeitslevel über den Tag

Antwortoptionen: von "1 - top fit und hellwach" bis "5 - extrem müde"

6. Energielevel

Antwortoptionen: von "1 - sehr niedrig, ich brauche 5 Minuten bis ich mich mobilisieren kann, etwas zu tun" bis "5 - ich bin so voller Energie, dass ich mich die ganze Zeit bewegen möchte und das Gefühl habe, ich müsste Energie abbauen"

7. Zubettgehzeit

 

Der fertige Fragebogen

Alle Fragen zu den abhängigen Variablen und den Kontrollvariablen, die ich letztendlich ausgewählt habe, habe ich in einen Fragebogen gepackt. Den Fragebogen habe ich in zwei Teile geteilt, den einen Teil fülle ich morgens nach dem Aufstehen aus, um die Aufstehzeit, Schlafqualität und Schwierigkeit aus dem Bett zu kommen so frisch wie möglich zu erfassen. Den zweiten Teil mit allen abhängigen Variablen fülle ich abends im Bett aus.

Programmiert habe ich den Fragebogen in Google Forms. Wobei programmiert viel komplizierter klingt, als es tatsächlich war, eigentlich habe ich mir nur ein paar Fragetypen zusammengeklickt und dann meine Fragen reinkopiert. Google Forms habe ich zum ersten Mal benutzt und ich bin bisher sehr zufrieden damit. Die Benutzung ist intuitiv und übersichtlich. Ich hatte den Morgen- und den Abendfragebogen in einer halben Stunde fertig erstellt. Außerdem werden die Antworten direkt in einer Tabelle abgespeichert, sodass man die Daten gleich weiterverwenden kann. Für Experimente mit komplizierterem Aufbau reicht Google Forms wahrscheinlich nicht aus, aber für das Lerchenexperiment passt es prima.

Der Morgenfragebogen ist hier zu finden und der Abendfragebogen hier.

 

Das Design des Lerchenexperimentes: Der A-B-Plan

Wie ich schon in der Ankündigung des Experimentes geschrieben habe, werde ich zuerst zwei Wochen lang die Skalen und Fragen in meinem normalen Alltag ausfüllen, damit ich einen Vergleichsstandard habe, der zeigt wie gestresst oder glücklich ich während einer normalen Woche bin. Anschließend werde ich für vier Wochen früher aufstehen und währenddessen weiterhin täglich meinen Fragebogen ausfüllen. Nach 6 Wochen sehe ich dann, ob und wie sich mein Stresslevel, meine Stimmung und alles, was ich sonst noch erhebe, im Laufe des Experimentes verändert haben. Im Fachjargon nennt man das ein A-B-Design, zuerst die A-phase, also die Phase ohne Intervention, und dann die B-Phase mit Intervention, also dem frühen Aufstehen.

Die erste Woche mit dem Fragebogen - so weit so gut

Die erste Woche des Lerchenexperimentes ist fast vorbei. Ich habe jeden Morgen und jeden Abend brav meinen Fragebogen ausgefüllt. Ich war zuerst etwas besorgt, dass ich doch zu viele Fragen habe und mich das Ausfüllen so viel Zeit kosten würde, dass es mich nervt. Das ist aber überhaupt nicht der Fall, das Ausfüllen geht sehr schnell. Ich muss nur dran denken! Vergessen habe ich es bisher einmal abends, aber am nächsten Morgen waren meine Erinnerungen an den Vortag noch recht frisch, sodass es ok sein sollte. Außerdem hatte ich die Befürchtung, dass ich mich an die Antworten vom Vortag erinnere und mich das beeinflussen könnte, gezielt gleich oder anders zu antworten. Das ist aber nicht der Fall, ich weiß nicht mehr, was ich am Tag zuvor geantwortet habe. Der Fragebogen hat bisher so gut funktioniert, dass ich nach der ersten Woche keine Veränderungen an ihm vorgenommen habe. Die Revision, die ich ursprünglich eingeplant hatte, war also nicht notwendig.

Noch eine Woche Schonfrist, dann geht es mit dem frühen Aufstehen los! Wie ich es schaffen will, von heute auf morgen früher aus den Federn zu kommen und was ich mit der gewonnenen Zeit am Morgen machen werde, erzähle ich im nächsten Beitrag.

 

Verweise

Foto von Fleur Treurniet auf Unsplash