Das passiert mit mir, wenn ich Selbstoptimierung betreibe - Die Ergebnisse des Lerchenexperiments

War das Lerchenexperiment ein Erfolg? Bin ich von der Eule zur Lerche geworden? Und vor allem, was hat dieser Selbstoptimierungsversuch mit mir gemacht? Bin ich glücklicher geworden? Habe ich mehr Kontrolle über mein Leben? Bin ich zufriedener mit mir selbst? Oder bin ich einfach nur gestresster oder vielleicht sogar egoistischer geworden? Das Lerchenexperiment ist nun schon seit ein paar Wochen abgeschlossen und es wird Zeit, diese Fragen zu beantworten.

Zu neugierig? Zu wenig Zeit? Hier geht's zu den Ergebnissen in einem Satz

Im Lerchenexperiment habe ich versucht, von der Eule zur Lerche zu werden, indem ich für 30 Tage jeden Tag um 6:30 Uhr aufgestanden bin (Lerchenphase). Dabei habe ich dokumentiert, welche Auswirkungen dieser Selbstoptimierungsversuch auf mich hat und zwei mal täglich einen Fragebogen ausgefüllt. Um eine Idee und einen Vergleichsstandard zu haben, wie ich mich an normalen Tagen fühle, habe ich den Fragebogen zuerst für zwei Wochen ausgefüllt, in denen ich nicht früher aufgestanden bin (Kontrollphase).

Der Hauptgrund dafür, dass ich die Ergebnisse erst jetzt berichte, ist, dass ich erst lernen musste, wie ich die Daten auswerte und eigentlich immer noch dabei bin, es zu lernen. Gerade als ich diesen Beitrag endlich fertig machen wollte, bin ich wieder über neue Auswertungsmöglichkeiten gestolpert, die ich noch ausprobieren will. Da das aber etwas dauern wird und wir nächste Woche für vier Wochen nach Deutschland fliegen, werde ich die Ergebnisse erstmal so veröffentlichen und die Erkenntnisse der neuen Auswertungsmethoden nachträglich einfügen. Am Datenmuster insgesamt wird sich schließlich nichts mehr ändern. Vor allem in den Fällen, in denen es keinen Effekt des frühen Aufstehens gab, wird sich auch durch die neuen Methoden nichts an der Bedeutung der Ergebnisse ändern. In den Fällen, in denen sich ein Effekt gezeigt hat, werden die statistischen Methoden dabei helfen, festzustellen, ob es sich tatsächlich um eine Wirkung des frühen Aufstehens handelt oder ob es nur eine zufällige Schwankung in den Daten ist.


Eckdaten: Der Rahmen für das Experiment

Die Kontrollphase dauerte 14 Tage und die Lerchenphase 67 Tage. Ursprünglich sollte die Lerchenphase 30 Tage dauern, aber da es einige Unterbrechungen gab, musste ich mehrmals von vorne anfangen, bis ich 30 Tage ohne Unterbrechungen schaffte. In der Lerchenphase bin ich im Schnitt um 7:07 Uhr aufgestanden (es gab ein paar Ausrutscher) und in der Kontrollphase um 7:58.

Und schon ist meine schöne Ausrede futsch: früher Aufstehen macht mich nicht müder

Entgegen meiner Vermutung und einer gern genutzten Ausrede war ich nicht müder, wenn ich früher aufgestanden bin und hatte auch nicht weniger Energie als an einem normalen Tag. In der Kontrollphase lag meine durchschnittliche Müdigkeit bei 2.5 auf einer Skala von 1 -”top fit und hellwach” bis 5 - “extrem müde” (SD = 1.10), und bei 2.24 in der Lerchenphase (SD = 1.00). Ich fühlte mich also in beiden Phasen ziemlich wach und fit. Mein Energielevel lag in der Kontrollphase bei 3.79 (SD = 0.89 ) und in der Lerchenphase bei 3.61 (SD = 0.74 ) auf einer Skala von 1- “sehr niedrig” bis 5- “ich bin voller Energie”, was bedeutet, dass ich insgesamt eher energiegeladen war und zumindest nicht unter Energiemangel litt.

Jetzt aber zum Herzstück des Experiments und dem spannendsten Teil der Auswertung: den Ergebnissen zu den Forschungsfragen: Macht mich Selbstoptimierung glücklicher, zufriedener mit mir selbst oder egoistischer? Stresst sie mich oder gibt sie mir mehr Kontrolle über mein Leben?

Die Ergebnisse zu den Forschungsfragen

Den besten und unmittelbarsten Eindruck von den Ergebnissen zu den Forschungsfragen bekommt man, wenn man sich den Verlauf der Werte anschaut, die ich täglich auf dem Fragebogen eingetragen habe. Zum Beispiel habe ich jeden Tag meine Zustimmung zur Aussage “Ich bin glücklich.” auf einer Skala von “1 = trifft überhaupt nicht zu” bis “5 = trifft voll und ganz zu” angegeben. Der Verlauf dieser Werte über beide Phasen zeigt, ob sich mit dem Einsetzen der Lerchenphase etwas verändert hat, also ob ich zum Beispiel glücklicher geworden bin. Außerdem kann man erkennen, ob es in den Phasen unterschiedliche Trends gibt. Klingt kompliziert? Keine Sorge, mit den Diagrammen dazu wird es gleich leichter klarer.

1. Macht Selbstoptimierung glücklich?

Nein, zumindest nicht wenn sie darin besteht, früher aufzustehen.

Das Lerchenexperiment scheint keinen Einfluss darauf zu haben, wie glücklich ich bin. In der Lerchenphase bin ich nicht glücklicher, aber auch nicht unglücklicher als in der Kontrollphase. Auch auf meine Tageslaune und Stimmung scheinen die Phasen des Experiments keine Auswirkungen zu haben. Stattdessen haben andere Lebensereignisse wie mein Geburtstag, unser Familienurlaub und die Rückkehr aus dem Heimaturlaub in Deutschland einen größeren Einfluss. So bin ich eigentlich insgesamt recht glücklich, lediglich nachdem wir aus Deutschland zurückgekommen sind, gab es eine kleine Delle in meinen Glücks-Werten.

Diagramm 1: Werteverlauf zu "Ich bin glücklich."

Werteverlauf "Ich bin glücklich", Skala von "1 = trifft überhaupt nicht zu" bis "5 = trifft voll und ganz zu", M = 4.31 , SD = 0.82; Kontrollphase: M =4.5 , SD = 0.76; Lerchenphase: M = 4.27, SD = 0.83

Werteverlauf "Ich bin glücklich", Skala von "1 = trifft überhaupt nicht zu" bis "5 = trifft voll und ganz zu", M = 4.31 , SD = 0.82; Kontrollphase: M =4.5 , SD = 0.76; Lerchenphase: M = 4.27, SD = 0.83

2. Stresst Selbstoptimierung?

Ja, wahrscheinlich, zumindest fühlte ich mich gestresster, als ich versucht habe zur Lerche zu werden und früher aufgestanden bin.

Wenn ich normal aufgestanden bin (Kontrollphase), fühlte ich mich eigentlich nur an zwei Tagen gestresst und war ansonsten ziemlich entspannt. Ab dem Start der Lerchenphase fühlte ich mich deutlich häufiger gestresst und die Werte waren insgesamt etwas höher.

Diagramm 2: Werteverlauf zu "Ich fühle mich gestresst."

Werteverlauf "Ich fühle mich gestresst", Skala von "1 = trifft überhaupt nicht zu" bis "5 = trifft voll und ganz zu", M = 2.48, SD = 0.95 ; Kontrollphase: M = 1.93, SD = 1.07 ; Lerchenphase: M =2.60, SD = 0.89 

Werteverlauf "Ich fühle mich gestresst", Skala von "1 = trifft überhaupt nicht zu" bis "5 = trifft voll und ganz zu", M = 2.48, SD = 0.95 ; Kontrollphase: M = 1.93, SD = 1.07 ; Lerchenphase: M =2.60, SD = 0.89 

3. Gibt mir Selbstoptimierung mehr Kontrolle über mein Leben?

Ja, zumindest gab mir das frühe Aufstehen das Gefühl, dass ich mehr Kontrolle über meine Zeit und meinen Tag habe.

Auch wenn ich in der Kontrollphase schon eher das Gefühl hatte, dass ich die Kontrolle über meine Zeit habe, hat sich das in der Lerchenphase weiter gesteigert. Wie das Diagramm zeigt, hat sich der Verlauf der Werte für Kontrolle mit Beginn der Lerchenphase geändert, was auf einen Effekt des frühen Aufstehens hindeutet. Ein ähnliches Muster zeigt sich auch für die Werte zur Aussage “Ich habe die Kontrolle über meinen Tag.” 

Diagramm 3: Werteverlauf zu "Ich habe die Kontrolle über meine Zeit."

Werteverlauf "Ich habe die Kontrolle über meine Zeit", Skala von "1 = trifft überhaupt nicht zu" bis "5 = trifft voll und ganz zu", M = 3.58 , SD = 1.08 ; Kontrollphase: M = 3.36, SD = 0.74, Lerchenphase: M =3.63, SD = 1.14

Werteverlauf "Ich habe die Kontrolle über meine Zeit", Skala von "1 = trifft überhaupt nicht zu" bis "5 = trifft voll und ganz zu", M = 3.58 , SD = 1.08 ; Kontrollphase: M = 3.36, SD = 0.74, Lerchenphase: M =3.63, SD = 1.14

4. Steigert mein Selbstoptimierungs-Projekt meine Zufriedenheit mit mir selbst?

Nein, zumindest hatte das frühere Aufstehen keinen Einfluss auf meine Zufriedenheit bzw. Unzufriedenheit mit mir selbst.

Bei den Zufriedenheitswerten zeigen sich keine Veränderungen, die mit den Phasen des Lerchenexperiments übereinstimmen. Ab dem 12.12. war ich wohl unzufriedener mit mir, woran das genau lag, weiß ich nicht. Es hatte auf jeden Fall nichts mit dem Lerchenexperiment zu tun. 

Diagramm 4: Werteverlauf zu "Ich bin unzufrieden mit mir."

Werteverlauf "Ich bin unzufrieden mit mir", Skala von "1 = trifft überhaupt nicht zu" bis "5 = trifft voll und ganz zu", M = 2.30 , SD = 0.95 ; Kontrollphase: M = 2.43, SD = 1.34; Lerchenphase: M = 2.27, SD = 0.86

Werteverlauf "Ich bin unzufrieden mit mir", Skala von "1 = trifft überhaupt nicht zu" bis "5 = trifft voll und ganz zu", M = 2.30 , SD = 0.95 ; Kontrollphase: M = 2.43, SD = 1.34; Lerchenphase: M = 2.27, SD = 0.86

 

5. Macht mich Selbstoptimierung egoistischer?

Nein, zumindest bin ich nicht egoistischer, wenn ich früher aufstehe und versuche, zur Lerche zu werden.

Die Phasen des Lerchenexperiments haben keinen Einfluss darauf, wie egoistisch ich bin.

Diagramm 5: Werteverlauf zu "Ich war heute egoistisch."

Werteverlauf "Ich war heute egoistisch", Skala von "1 = trifft überhaupt nicht zu" bis "5 = trifft voll und ganz zu", M = 2.68, SD = 0.78 ; Kontrollphase: M = 2.64, SD = 0.84; Lerchenphase: M =2.69, SD = 0.77

Werteverlauf "Ich war heute egoistisch", Skala von "1 = trifft überhaupt nicht zu" bis "5 = trifft voll und ganz zu", M = 2.68, SD = 0.78 ; Kontrollphase: M = 2.64, SD = 0.84; Lerchenphase: M =2.69, SD = 0.77

6. Macht mich Selbstoptimierung altruistischer?

Nein, zumindest hat mein Versuch zur Lerche zu werden, keinen Einfluss darauf, wie altruistisch ich bin.

Die Phasen des Lerchenexperiments wirken sich nicht darauf aus, wie altruistisch ich bin.

Diagramm 6: Werteverlauf zu "Ich war heute so altruistisch, wie ich sein konnte."

Werteverlauf "Ich war heute so altruistisch, wie ich sein konnte", Skala von "1 = trifft überhaupt nicht zu" bis "5 = trifft voll und ganz zu", M = 3.99, SD = 0.93 ; Kontrollphase: M = 3.57, SD = 0.76; Lerchenphase: M = 4.08, SD = 0.94

Werteverlauf "Ich war heute so altruistisch, wie ich sein konnte", Skala von "1 = trifft überhaupt nicht zu" bis "5 = trifft voll und ganz zu", M = 3.99, SD = 0.93 ; Kontrollphase: M = 3.57, SD = 0.76; Lerchenphase: M = 4.08, SD = 0.94

Die Ergebnisse in einem Satz

Selbstoptimierung in Form meines Versuchs zur Lerche zu werden, macht mich nicht glücklicher, zufriedener oder egoistischer, aber auch nicht unglücklicher, unzufriedener oder altruistischer, dafür vermittelt sie mir ein Gefühl von Kontrolle, bereitet mir aber auch Stress. 

Bei der Interpretation der Ergebnisse ist allerdings noch Vorsicht geboten: Ob der Anstieg von Stress und Kontrollempfinden in der Lerchenphase tatsächlich auf einen Effekt des frühen Aufstehens zurückzuführen ist oder ob es sich nur um eine zufällige Schwankung der Werte handelt, kann allein auf Basis des Werteverlaufs nicht abschließend geklärt werden. Wie bereits erwähnt, bin ich gerade dabei, verschiedene Auswertungsmethoden auszuprobieren, mit deren Hilfe ich feststellen kann, ob es sich bei diesen Unterschieden zwischen Kontroll- und Lerchenphase tatsächlich um einen Effekt der Lerchenphase oder um Zufallsschwankungen handelt. Sobald ich mehr weiß, werde ich natürlich darüber berichten.

Warum Ergebnisse schnell trivial erscheinen, obwohl sie es nicht sind

Selbstoptimierung macht also nicht glücklicher, sorgt allerdings für mehr Kontrolle aber auch für mehr Stress.

“Ist das nicht trivial?” fragen Sie sich jetzt vielleicht und möglicherweise denken Sie sogar, dass Sie für diese Erkenntnis kein Experiment gebraucht hätten, weil Sie genau das erwartet hätten.

Wirklich?

Mein Selbstoptimierungsversuch hätte genauso gut zu mehr Entspannung und weniger Stress führen können, weil ich durch das frühe Aufstehen mehr Zeit gewinne. Und er hätte mich glücklicher machen können, weil er mir zu mehr Kontrolle über mein Leben verhilft. Annahmen kann man viele treffen und wenn man sich ein bisschen anstrengt, kann man auch so gut wie jede Annahme begründen.

Besonders im Nachhinein, wenn das Ergebnis feststeht, wirkt es oft total logisch und nachvollziehbar. Vor dem Experiment, wenn man noch keine Daten hat und erst die Hypothesen formuliert, sieht es etwas anders aus. Dann wird klar, dass es gar nicht so selbstverständlich ist, dass die Annahmen auch zutreffen. Als ich mit dem Lerchenexperiment angefangen habe, hatte ich zum Beispiel keine Ahnung, wie es ausgehen würde.

Aber mit diesem “Das hätte ich Ihnen auch ohne Experiment sagen können”-Problem hat vor allem die psychologische Forschung oft zu kämpfen: wenn ein Ergebnis besonders logisch ist, wirkt es oft trivial, weil wir schnell vergessen, dass andere Ergebnisse genauso wahrscheinlich oder zumindest nachvollziehbar gewesen wären.

Der Anfang ist gemacht

Groß verallgemeinern kann man das Ergebnis des Lerchenexperiments natürlich nicht, weil es sich nur auf mich und auf etwas mehr als zwei Monate meines Lebens bezieht. Außerdem deckt das Lerchenexperiment nur eine Facette von Selbstoptimierung ab. Aber es ist immerhin ein Anfang! Jetzt kommt es darauf an, die Ergebnisse an einer anderen Facette von Selbstoptimierung zu testen. An anderen Personen wäre natürlich auch toll, aber das liegt nicht nur an mir. Wer nicht zufrieden ist mit meinen Ergebnissen oder auch versuchen will, zur Lerche werden, und Lust hat, das Experiment selbst durchzuführen, kann sich gerne bei mir melden. Für Anregungen zur Auswertung wäre ich auch dankbar!

 

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