Um uns zu optimieren sammeln wir immer mehr Daten über uns - das kann der Motivation helfen, kann ihr aber auch schaden
Mittlerweile habe ich schon so viel über Selbstoptimierung gelesen, dass es selten vorkommt, dass ich etwas wirklich neues entdecke. Jetzt ist das aber passiert: ich bin über einen neuen Kritikpunkt an Selbstoptimierung gestolpert und noch dazu einen, der sich nicht einfach abstreifen oder wegargumentieren lässt, den man ernst nehmen muss. Es geht um die schädliche Wirkung, die das Messen und Erfassen von Verhalten, das ja ein Teil von Selbstoptimierung ist (zumindest nach meiner Definition), auf die Motivation haben kann. Das ständige Messen und Sammeln von Werten kann nämlich die Freude an Tätigkeiten rauben, die eigentlich Spaß machen, und wirkt sich damit auch negativ auf die Motivation aus. Täglich die gegangenen Schritte zu zählen, die beim Sport verbrannten oder beim Essen aufgenommenen Kalorien zu notieren, die gelesenen Seiten oder die im Tiefschlaf verbrachten Stunden zu dokumentieren, kann tatsächlich der Motivation schaden.
Aber kann das Messen und Erfassen des eigenen Verhaltens nicht auch der Motivation auf die Sprünge helfen, indem es uns zeigt, ob wir unserem Ziel näher kommen oder uns davon entfernen? So habe ich mir das zumindest immer gedacht und das Erfassen von Verhalten als Motivationshilfe angesehen. Wie ich nach einem kleinen Ausflug in die Motivationspsychologie gelernt habe, ist das zwar richtig, trifft aber nicht immer zu.
Das Messen und Aufzeichnen schadet also der Motivation, hilft ihr aber auch? Um diesen Widerspruch zu erklären, hilft es zwischen zwei verschiedenen Formen der Motivation zu unterscheiden: extrinsischer und intrinsischer Motivation.
Intrinsische Motivation
Intrinsisch motiviert sind wir, wenn uns das, was wir tun, Spaß macht und Freude bereitet, wenn wir es nur um der Tätigkeit willen tun. Spielen, Lesen, Musizieren, Malen und jede andere künstlerische Aktivität sind klassische Beispiele intrinsisch motivierter Aktivitäten. Eine Aktivität, die mich intrinsisch motiviert, ist das Lösen von Rätseln. Ich liebe es, das Rätsel in meinem Kopf zu drehen und zu wenden, bis ich den kleinsten Anhaltspunkt finde, den ich packen kann, um der Lösung näher zu kommen. Es geht mir dabei gar nicht um die Lösung, sondern ums Vorankommen, Hinweis für Hinweis zu entschlüsseln und das Problem immer weiter zu durchdringen. Ist das Rätsel gelöst, bin ich oft ein bisschen traurig, weil damit auch das Rätseln vorbei ist. Es geht also nur um die Tätigkeit, das Rätseln, und nicht um das Ergebnis, die Lösung.
Extrinsische Motivation
Extrinsische Motivation ist dagegen Motivation, die nicht in der Tätigkeit selbst liegt, sondern von außen kommt. Extrinsische Motivation entsteht durch Belohnungen, Lob, Anerkennung, Kritik oder durch Androhung unangenehmer Konsequenzen. Das Gehalt, das wir für unsere Arbeit bekommen, liefert extrinsische Motivation, genauso wie die Noten in der Schule, die Standpauke oder das Lob der Eltern, Konkurrenten, die wir übertreffen wollen, Radarfallen, Bußgelder, Bonusprogramme…
Und was ist mit dem Erfassen und Messen unseres Verhaltens?
Die gemessenen Werte und Aufzeichnungen von Verhalten und Leistung sind ja nur eine Ansammlung von Zahlen und bieten keine direkte Belohnung und keinen Anreiz, weiter zu machen oder besser zu werden. Man erhält nur die Zahlen und kein Geld, keine Anerkennung oder sonst was nützliches dafür. Die Werte sind aber ein Indikator für Erfolg und Misserfolg. Sie zeigen, ob man dem Ziel näher gekommen ist. Ein guter Wert wirkt dann wie eine Belohnung für die Mühen, ein schlechter wie ein Ansporn, beim nächsten Mal besser zu sein. Die gemessenen Werte wirken damit wie ein externer Anreiz, der nicht im Ausführen der Tätigkeit selbst liegt.
Dass das Erfassen von Tätigkeiten und Verhalten extrinsisch motiviert, konnte die amerikanische Wissenschaftlerin Jordan Etkin in einer Serie von sechs Studien belegen¹: In diesen Studien wurden die Teilnehmer entweder gebeten zu laufen, zu lesen oder Bilder auszumalen. Die Teilnehmer, deren Aktivitäten aufgezeichnet wurden, liefen, malten und lasen mehr als die, deren Verhalten nicht aufgezeichnet wurde.
Messen wirkt also als extrinsische Motivation und kann die Leistung steigern! Das ist doch toll oder? In vielen Fällen, vor allem dann, wenn man etwas einfach nicht auf die Reihe kriegt, kann das ein Segen sein. Manchmal braucht man schließlich jedes bisschen Motivation, das man kriegen kann.
Aber
Das funktioniert leider nur so lange, man misst und das externe Motivationsgerüst vorhanden ist. Fällt es weg, zum Beispiel weil der Fitness-Tracker zuhause vergessen wurde oder beim Handy der Akku leer ist, ist auch die Motivation weg.
In einer Studie zum Zusammenhang zwischen extrinsischer und intrinsischer Motivation, Bewegung und der Nutzung von Fitness-Trackern konnten Christiane Attig und Thomas Franke genau das zeigen²: Personen, die einen Fitness-Tracker als extrinsische Motivationshilfe verwendeten, neigten dazu, sich weniger zu bewegen, wenn sie ihren Fitness-Tracker nicht bei sich hatten.
Eine Krücke für die Motivation
Also wirkt das Messen wie ein Hilfsmittel, eine Krücke für die Motivation, ohne die es nicht geht. Klingt eigentlich immer noch nicht so schlimm, so lange es hilft, am Ball zu bleiben und das Ziel zu erreichen.
Es gibt dabei allerdings einen Haken: Bei Tätigkeiten, die intrinsisch motiviert sind und eigentlich keine Motivationsstütze brauchen, kann die Quantifizierung nämlich Schaden anrichten! Messen wir etwas, das uns Spaß macht, das wir einfach gerne tun, wie Lesen, Malen, Spazieren gehen oder Musizieren, kann es passieren, dass wir den Spaß und die Freude daran verlieren.
Auch wenn wir für diese Tätigkeiten keinen zusätzlichen Anreiz brauchen, sind sie oft das Ziel von Selbstoptimierungs-Bestrebungen und werden quantitativ erfasst, weil wir uns darin verbessern wollen oder sie einfach nur öfter tun wollen. Beim Spazierengehen läuft die Tracking App mit, beim Musizieren wird die Übezeit notiert und beim Lesen die Anzahl der Seiten. Außerdem gibt es überall Challenges, bei denen man mitmachen kann: in Apps, auf Facebook, auf Blogs oder in Foren. In diesen Challenges wird eigentlich alles Mögliche erfasst, gemessen und mit einem Ziel versehen: ein Buch im Monat, 10 000 Schritte pro Tag, 40 Liegestützen pro Tag, jeden Tag ein Gedicht schreiben, jede Woche ein neues Rezept probieren...
An der Krücke gehen statt zu fliegen
Das Problem an dieser Zahlenfixiertheit ist, dass sie die Aufmerksamkeit von der Tätigkeit und der Freude daran wegnimmt und stattdessen auf die gemessenen Werte und das Ergebnis richtet. Nicht mehr das Tun an sich steht im Vordergrund, sondern Fragen wie: Wie viel hab ich geschafft? Was hab ich geschafft? Wie schnell war ich? Es zählt nur noch das Ergebnis und die Leistung und plötzlich fühlt es sich wie Arbeit an. Der Spaß an der Aktivität geht verloren und damit nimmt auch die intrinsische Motivation dafür ab.
Diese Zerstörung der intrinsischen Motivation durch die Quantifizierung von Tätigkeiten hat die Motivationsforscherin Michaela Brohm-Badry bereits vor zwei Jahren in einem Beitrag auf ihrem Blog “Positive Psychologie und Motivation” vorhergesagt ³. Mittlerweile gibt es auch überzeugende empirische Belege dafür. In der oben erwähnten Studienserie von Jordan Etkin¹ zeigte sich, dass das Erfassen einer Aktivität zwar zu einem Anstieg der Aktivität führte, die Teilnehmer aber gleichzeitig weniger Spaß daran hatten. In sechs Studien verbrachten die Teilnehmer Zeit mit einer Tätigkeit, die meist intrinsisch motiviert ist und Freude bereitet: In den ersten beiden Studien malten sie Bilder aus (Das klingt vielleicht albern, wer aber jemals mit einem Kind ein Bild ausgemalt hat, weiß wie befriedigend das auch als Erwachsener sein kann. Wer würde sonst die ganzen Malbücher für Erwachsene kaufen?). In zwei anderen Studien liefen die Teilnehmer und in den letzten beiden Studien bekamen sie Zeit zum Lesen. In jeder der Studien zeigte sich, dass bei Erfassen der Aktivität mehr gemalt, gelesen und gelaufen wurde. Gleichzeitig sank allerdings auch die Freude an den Aktivitäten, wenn sie quantifiziert wurden, und sie fühlten sich mehr wie Arbeit an.
Zudem zeigen die letzten beiden Studien, dass das Messen auch dazu führt, dass anschließend, wenn nicht mehr gemessen wird, weniger Interesse besteht, die Tätigkeit auszuführen, und sie tatsächlich auch weniger ausgeübt wird. Die Teilnehmer, bei denen die Anzahl der gelesenen Seiten erfasst wurde, lasen später, wenn es ihnen freigestellt wurde zu lesen, weniger als die Teilnehmer deren Leseverhalten nicht erfasst wurde.
Und jetzt? Wann messen? Wann nicht?
Bevor Sie sich also bei einer Challenge anmelden, einen Fitnesstracker ums Handgelenk schnallen oder eine Tracking App installieren, überlegen Sie sich, ob Sie das, was Sie erfassen wollen, gerne tun oder nicht. Handelt es sich um etwas, das Sie nicht gerne tun, wie früh aufstehen, abnehmen, oder laufen, dann machen Sie weiter. In diesem Fall sind Ihr Durchhaltevermögen und Ihre Erfolgschancen höher, wenn sie Ihr Verhalten aufzeichnen.
Handelt es sich aber um eine Aktivität, die Ihnen Freude bereitet und die Sie leidenschaftlich gerne tun, dann überlegen Sie sich, ob es nicht eine andere Möglichkeit gibt, Ihr Ziel zu erreichen! Wenn Sie ein bisschen suchen, finden Sie bestimmt andere Lösungen, die es Ihnen erlauben, auf das Messen zu verzichten, zum Beispiel, indem Sie im Vorhinein feste Zeiten für die Aktivität festlegen statt währenddessen jede Minute zu erfassen.
Was ist, wenn es ohne Messen nicht geht?
Oft ist das Erfassen der Leistung Teil der Tätigkeit, bei Videospielen zum Beispiel und bei fast jedem Sport, den man halbwegs ernsthaft betreibt: Beim Tennis werden Punkte gezählt, beim Fußball Tore und beim Laufen und Radfahren werden Geschwindigkeit und Zeit gemessen. Wenn das schon immer so war und dazugehört, dann ist das kein Problem. Messen führt auch bei intrinsisch motivierten Tätigkeiten nicht immer dazu, dass sie weniger Spaß machen. Problematisch wird es nur, wenn man anfängt zu messen, wo man es vorher nicht getan hat, und plötzlich nur noch auf die Werte und die Leistung fixiert ist. Dann läuft man Gefahr, dass die Lieblingsaktivität bald keinen Spaß mehr macht.
Wenn Sie nicht ums Erfassen der Leistung herumkommen, dann messen Sie nicht bei jeder Trainings- oder Arbeitseinheit sondern nur bei jeder dritten oder vierten, dann sehen Sie Ihre Fortschritte trotzdem und können sich bei den Einheiten ohne Messung ganz auf die Tätigkeit einlassen. Wichtig ist, dass Sie sich Raum geben, die Aktivität an sich zu erleben und zu genießen.
Zahlen sind nett, vor allem wenn sie zeigen, was man alles geleistet hat, aber
kein gemessener Wert kann so wichtig oder aussagekräftig sein, wie das Gefühl ganz in einer Tätigkeit aufzugehen, die Welt um sich herum zu vergessen und zu spüren, wie es ist, einfach mal wieder das zu tun, was sich gut und richtig anfühlt, ohne danach zu fragen, was es bringt und wie gut oder schlecht man es gemacht hat. (Es sei denn Messen und Werte anschauen ist Ihre Leidenschaft).
Verweise
[1] Etkin, J. (2016). The hidden cost of personal quantification. Journal of Consumer Research, 42(6), 967–984. https://doi.org/10.1093/jcr/ucv095
[2] Attig, C., & Franke, T. (2018). I track, therefore I walk – Exploring the motivational costs of wearing activity trackers in actual users. International Journal of Human-Computer Studies.
https://doi.org/10.1016/j.ijhcs.2018.04.007
Ausführlicher wird diese Studie auch in Folge 121 des Methodisch Inkorrekt Podcasts vorgestellt, inklusive Interview mit der Erstautorin Christiane Attig.
[3]
"Wie Selbstoptimierung die Motivation zerstört – und wie man sie zurückgewinnt"
Blogpost von Prof. Michaela Brohm-Badry auf ihrem Blog "Positive Psychologie und Motivation"
Foto von Artur Łuczka on Unsplash